Mein Patient spricht nicht an – Was jetzt?
1. Schritt: Behebbare Ursachen evaluieren
Gemäß der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ sollte nach 4 Wochen, bei älteren Menschen nach 6 Wochen, das Ansprechen auf das verordnete Antidepressivum geprüft werden. Dies umfasst neben der klinischen Symptomatik auch Teilhabeaspekte und Lebensqualität. Bevor bei Nichtansprechen aber die Therapiestrategie geändert wird, soll zunächst evaluiert werden, ob mögliche behebbare Gründe Ursache dafür sein können.1
- Liegt möglicherweise eine Fehldiagnose vor?
- Therapie ändern
- Bestehen Komorbiditäten, deren Behandlung depressiogene Arzneimittel involviert?
- interagierende Substanzen absetzen
- Liegen die Serumspiegel außerhalb des tehrapeutischen Bereichs?
- interagierende Substanzen (z. B. Rauchen, Grapefruit) prüfen und ggf. absetzen und/oder die Dosis erhöhen oder reduzieren (therapeutisches Drug Monitoring)
- Besteht bei der Patientin oder beim Patienten eine mangelnde Adhärenz?
- adhärenzfördernde Maßnahmen einleiten*
*In der S3-Leitlinie werden mögliche Barrieren und Lösungsansätze in Kapitel 3.5 aufgeführt
2. Schritt: Therapien kombinieren oder wechseln
Wurde keine behebbare Ursache festgestellt bzw. führen die eingeleiteten Maßnahmen nach wie vor nicht zum Ziel, kann die Antidepressiva-Therapie mit verschiedenen medikamentösen oder nicht-medikamentösen Verfahren kombiniert oder augmentiert werden. Eine andere Strategie kann sein, das Antidepressivum einmalig zu wechseln. Insgesamt wird die Evidenzqualität für dieses Vorgehen von der Leitliniengruppe als moderat eingeschätzt.1
Folgende Strategien stehen Ihnen zur Verfügung:1
- Kombination mit Psychotherapie, insbesondere wenn offensichtlich psychosoziale Faktoren zugrunde liegen. Lehnt der oder die Betroffene eine weitere medikamentöse Behandlung ab, kommt auch der Wechsel auf eine alleinige Psychotherapie in Frage.
- Augmentation mit Antipsychotika in verhältnismäßig niedrigen Dosierungen [Quetiapin (zugelassen), Aripiprazol, Olanzapin oder Risperidon (off-label)].
- Augmentation mit Lithium unter Beachtung des Wechsel- und Nebenwirkungspotenzials von Lithium. In der Regel zeigt sich in der Praxis schnell, ob Betroffene darauf ansprechen. Wenn ja, wird eine Erhaltungstherapie für 6 Monate empfohlen.
- Kombination mit einem 2. Antidepressivum: Eine Kombination mit SSRI, SNRI oder trizyklischen Antidepressiva mit Mianserin, Mirtazapin oder Trazodon sollte angeboten werden.
- Einmaliger Wechsel des Antidepressivums auf ein Antidepressivum mit anderem Wirkmechanismus. Diese Switch-Strategie sollte den anderen Strategien aufgrund einer niedrigen Evidenzqualität nachrangig angeboten werden.
- Augmentation mit repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS): Die Evidenzqualität wird von der Autorenschaft als sehr niedrig eingestuft, gleichzeitig sind der schnelle Wirkeintritt und der größere zu erwartende Effekt mögliche Pluspunkte für die Behandlung, so dass die Leitliniengruppe insgesamt zu einer offenen Empfehlung kommt.
3. Schritt: Maßnahmenpaket ggf. erweitern
Besteht das Nichtansprechen trotz angepasster Therapiestrategie nach 4 Wochen weiterhin, sollen die Ursachen erneut geprüft werden. Bei wiederholtem Nichtansprechen kommen die gleichen Strategien wie beim einmaligen Nichtansprechen infrage, ergänzt um einige weitere Optionen:1
- Medikamentöse Therapie absetzen (Drug Holiday) und eine nicht-pharmakologische Behandlung anbieten. Es können, müssen aber nicht alle anderen Strategien ausgeschöpft worden sein, bevor die Therapie mit dem Antidepressivum beendet wird.
- Esketamin intranasal im (teil-)stationären Setting. Die Empfehlung dafür ist offen, da keine konsistent signifikanten Effekte gegenüber Placebo vorliegen.
- Neurostimulatorische Verfahren: Elektrokonvulsionstherapie (EKT) oder rTMS bei therapieresistenten depressiven Episoden. Ein EKT wird v.a. im höheren Lebensalter oder bei psychotischer Symptomatik empfohlen.
Der gesamte Behandlungsprozess kann additiv mit unterstützenden Angeboten (Bewegungs- und Sporttherapie, Wachtherapie, Lichttherapie, Peer Support), bei Funktions- und Teilhabeeinschränkungen mit psychosozialen Therapien (Ergotherapie, Soziotherapie) oder mit häuslicher psychiatrischer Krankenpflege begleitet werden.1
Quellen:
- Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-005l_S3_Unipolare-Depression_2023-07.pdf (abgerufen am 01.09.2025)