Depressionen: Ersetzt ChatGPT künftig den Arzt?
Wie Depressionen nach Leitlinie therapiert werden sollten
Die Therapie von Depressionen orientiert sich an den Empfehlungen der Nationalen VersorgungsLeitlinie zur unipolaren Depression, wobei die Empfehlungen sich spezifisch auf den Schweregrad der Depression beziehen.1
Leichtgradige depressive Episode
Die Leitlinie rät bevorzugt zu schnell zugänglichen, niedrigschwellig Interventionen, wie Internet- und mobilbasierten Interventionen (DiGA-Verzeichnis (bfarm.de), Psychoedukation und angeleiteter Selbsthilfe.1
Hierbei soll die Stärkung der Selbstmanagementfähigkeiten, Bewältigungsstrategien und der Resilienz im Fokus stehen. Besteht die Symptomatik weiterhin oder ist ein Chronifizierungsrisiko gegeben, kann eine Psychotherapie angeboten werden und ggf. nachrangig ein Antidepressivum.1,2
Mittelgradige depressive Episoden
Betroffenen soll gleichwertig eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie offeriert werden. Zusätzliche Internet- und mobilbasierte Interventionen, z. B. per App und Psychoedukation können sinnvoll sein.1,2
Akute schwere depressive Episoden
Es wird bevorzugt eine Kombinationsbehandlung aus medikamentöser Therapie und Psychotherapie empfohlen, sowie Psychoeduktion.1,2
ChatGPT therapiert Depressionen – Utopie oder bald Realität?
Eine Ende 2023 in Family Medicine and Community Health veröffentlichte Studie zeigte, dass künstliche Intelligenz (KI) Depressionen scheinbar stringenter nach den Empfehlungen der Leitlinie therapiert als Ärztinnen und Ärzte dies tun.3
Die Forschenden Inbar Levkovich und Zohar Elyoseph erstellten hierzu 8 verschiedene Fallvignetten hypothetischer Patientinnen und Patienten mit Depressionen, die jeweils im Geschlecht, im sozioökonomischen Status sowie im Schweregrad der Depression (leicht oder schwer) variierten.3
Mit diesen Vignetten wurde ChatGPT-3.5 und ChatGPT-4 mehrfach gespeist. Der KI wurde nach der Speisung die Frage gestellt, was ein Hausarzt bzw. eine Hausärztin im Hinblick auf die Fälle der hypothetischen Patienten verordnen sollte. Der Original-Ton der Frage lautete „What do you think a primary care physician should suggest in this situation?“3
Die Therapieauswahl seitens der KI wurde mit der Therapieauswahl einer ausgewählten Gruppe von Hausärztinnen und -ärzten verglichen.3
ChatGPT lieferte verblüffend leitliniengetreue Behandlungsresultate
- Bei leichten Depressionen empfahlen die Hausärztinnen und -ärzte in 4,3 % der Fälle eine Psychotherapie wie die von der Leitlinie präferierte Behandlungsoption. ChatGPT-3.5 und ChatGPT-4 schlugen hingegen in 95,0 % bzw. 97,5 % der Fälle eine Psychotherapie vor und therapierten somit näher an der Leitlinienempfehlung.3
- Bei schweren Depressionen bevorzugte ChatGPT den kombinierten Ansatz aus Psychotherapie und Antidepressivum, wie auch die Hausärztinnen und -ärzte. Jedoch empfahl ChatGPT zur pharmakologischen Behandlung in 74 % (ChatGPT-3.5) und in 68 % (ChatGPT-4) der hypothetischen Fälle ein Antidepressivum zur medikamentösen Behandlung der Depression. Die Ärzteschaft setzte mit 67,4 % hingegen mehrheitlich auf eine Kombination aus Antidepressivum und Anxiolytika/Hypnotika.3
Im Gegensatz zur Hausarztvergleichsgruppe differenzierte ChatGPT bei der Therapieauswahl weder zwischen Geschlechtern noch zwischen sozioökonomischen Unterschieden bei den Empfehlungen.3
Die Studie zeigte: ChatGPT-3.5 und ChatGPT-4 halten sich bei der Behandlung von leichten und schweren Depressionen präziser an die Empfehlungen der Nationalen VersorgungsLeitlinie als die Vergleichsgruppe der Ärztinnen und Ärzte. Hinzu kommt, dass bei der Hausarztgruppe beobachteten geschlechtsspezifischen oder sozioökonomischen Verzerrungen unter ChatGPT ausblieben.3
Wird ChatGPT bald den Arzt ersetzen?
Obwohl die Studie das Potenzial zeige, dass Depressionen mittels KI noch gezielter behandelt werden können, seien besonders sensible Punkte laut der Forschenden nicht nur ethische Bedenken, sondern auch der derzeit fehlende Datenschutz.3
Aktuell kann der Schutz sensibler realer Patientendaten, die in eine KI eingegebenen werden, nicht entsprechend den Festlegungen der Datenschutz-Grundverordnung gesichert werden. Zudem bleiben Ärztinnen und Ärzte in der Behandlung von Depressionen durch menschliche Empathie, die heilende zwischenmenschliche Kraft und ihre emotionale Resonanz der KI klar überlegen.
Mensch statt Maschine wird es auch in Zukunft heißen, denn Chat-GPT kann weder klinische Erfahrung noch emotionale Sicherheit im Gespräch durch einen verständnisvollen Tonfall bieten. Daher spricht viel dafür, dass Ärztinnen und Ärzte weiterhin an 1. Stelle stehen, wenn es um die Behandlung von Depressionen geht. Zweifelsohne wird die Zukunft der Medizin von technologischen Fortschritten geprägt sein. Doch trotz aller Innovationen bleibt weiterhin der Mensch im Mittelpunkt der medizinischen Versorgung und die individuelle Therapieentscheidung wird den Erfolg einer Therapie entscheidend beeinflussen, ganz ohne ChatGPT.
Quellen:
- Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. Stand 2022. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005, unter: https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3 (abgerufen am 27.06.2025).
- Schmauß M. Therapietabellen Psychiatrie, 5. Auflage. 2023, S. 40, Tabelle 66
- Levkovich I, Elyoseph Z: Identifying depression and its determinants upon initiating treatment: ChatGPT versus primary care physicians. Fam Med Community Health September 2023; 11 (4): e002391. DOI: 10.1136/fmch-2023–002391.