Was tun, wenn der Therapieplatz auf sich warten lässt?

Bei Depressionen leidet oft die ganze Familie

Das seit dem Jahr 2017 jährlich durchgeführte Deutschland-Barometer Depression zeigte jüngst, dass 45 % der Personen hierzulande direkt oder indirekt von Depressionen betroffen sind.¹ Oft ist bei einer Erkrankung die ganze Familie involviert, so die Umfrageergebnisse. Entsprechend gaben 77 % der Familienmitglieder an, dass Depressionen eine Belastung für das Familienleben darstellen.¹

Der Weg aus der Depression ist nach wie vor ein langer: 65 % der Betroffenen nahmen erst nach durchschnittlich 30 Monaten professionelle Unterstützung in Anspruch. Und auch für die 32 %, die sofort Hilfe suchen, kann die Wartezeit auf einen Therapieplatz mehrere Monate betragen.¹

Barmer: Depressionen bei Kindern & Jugendlichen angestiegen

Noch gravierender ist die Situation bei Kindern und Jugendlichen. Seit der Corona-Pandemie sind die Depressionen bei Kindern auf einem Rekordhoch. Lockdown, Schulschließung und Kontaktbeschränkung zeigen ihre Nachwirkungen.³ Die Kleinsten mussten Größe zeigen: Das soziale Umfeld einfach weg – Schule nur noch digital. Doch das Sozialverhalten lässt sich nicht wie Lernstoff nachholen.⁴ Gemäß dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zeigten junge Personen in der Zeit der Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger allgemeine Symptome einer Depression als vor dem Beginn der Pandemie.⁵

Die Pandemie habe die psychische Gesundheit beeinträchtigt, erklärte der Leipziger Kinder- und Jugendpsychologe Prof. Julian Schmitz gegenüber dem ARD.⁴ Daneben können auch Konflikte in der Familie oder mit Freunden, Traumata in der Kindheit, der Erfolgsdruck in der Schule, aber auch der Klimawandel und Kriege einen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern haben.⁶

Eine Auswertung des Barmer-Instituts für Gesundheitssystemforschung zeigte:

• Im Jahr 2023 gab es 409.000 Patientinnen und Patienten im Alter von 5 bis 24 Jahren mit Depressionen.⁷
• Das entspricht im 5-Jahres-Vergleich einem Anstieg um fast 30 %.⁷
• Insbesondere Mädchen und junge Frauen waren betroffen.⁷

Bei jungen Patientinnen und Patienten sei davon auszugehen, dass oftmals echte Unterstützung gefehlt habe, ordnete der Barmer-Vorstand Christoph Straub in einem Gespräch mit dem Sender n-tv ein.⁷

Jüngere Kinder zeigen andere Symptome als Erwachsene

Depressionen sind laut der Stiftung Deutsche Depressionen eine der häufigsten psychischen Erkrankungen bei Kindern:⁶

• Ca. 1 % der Kinder in der Vorschule leidet darunter,
• ca. 2 % der Grundschulkinder sind betroffen und
• ca. 3-10 % der 12-17-Jährigen werden mit Depressionen diagnostiziert.

Aber wie erkennt man eine Depression bei Kindern? Die Diagnosestellung kann herausfordernd sein, da Kinder ihre gedrückte Stimmung oft nicht verbalisieren können. Bei den Kleinsten gelten dieselben Haupt- und Nebensymptome wie auch für die Diagnostik bei Erwachsenen. Spezifische Symptome der Depression zeigen sich im Kindesalter oft altersabhängig:⁶

• Bei jüngeren Kindern treten oft noch nicht alle Symptome auf.
• Andere Symptome hingegen überlappen mit pubertären Verhaltensweisen.
• Depression kann mit Begleiterkrankungen, wie z. B. Angststörungen, Essstörungen oder ADHS, einhergehen.⁶

Symptomatik bei Kindern unter 1-3 Jahren:⁶

• traurig und ausdrucksarme Gesichtszüge
• verstärkte Reizbarkeit
• selbststimulierendes Verhalten, z. B. Körper schaukeln, übermäßiges Daumenlutschen
• Teilnahmslosigkeit, Spielunlust oder reduzierte Kreativität/Ausdauer beim Spielen
• verändertes Essverhalten
• Schlafstörungen

Symptomatik bei Kindern im Vorschulalter von 3-6 Jahren:⁶

• trauriger Gesichtsausdruck oder verminderte Gestik/Mimik
• schnell irritierbar und stimmungslabil
• eingeschränkte Fähigkeit, Freude zu empfinden
• herabgesetztes Interesse an Bewegung
• introvertiertes oder aggressives Verhalten
• verändertes Essverhalten & Gewichtsab-/zunahme
• Schlafstörungen (Ein- & Durchschlafen, Albträume)

Symptome bei Kindern im Schulalter:⁶

• Aussagen über Traurigkeit
• verschlechterte Schulleistung
• Befürchtung vor unzureichender Beachtung durch die Eltern
• suizidale Gedanken

Symptome in der Pubertät & im Jugendalter:⁶

• Symptome einer Depression laut Diagnosekriterien
• Selbstvertrauen vermindert
• Ängste, Konzentrationsstörungen, Gleichgültigkeit
• Leistungsstörungen
• Schwankungen des Befindens (tageszeitabhängig)
• psychosomatische Symptome (z. B. Kopfschmerzen)
• suizidale Handlungen

Doch was tun, wenn der Therapieplatz für Kinder auf sich warten lässt?

Die S3-Leitlinie „Depressive Störungen im Kindes- und Jugendalter“ ist derzeit in Überarbeitung. In der Neufassung wird eine Psychotherapie, ggf. eine Familientherapie weiterhin das Mittel der Wahl bei Kindern sein – nur in schweren Fällen wird eine antidepressive medikamentöse Behandlung empfohlen.⁸

Die Neufassung berücksichtigt im Kindesalter v. a. die Evidenz zur familienfokussierten kognitiven Verhaltenstherapie, sowie die Evidenz der „Parent-Child-Interaction Therapy, Emotion Development“ für Kinder unter 8 Jahren. Doch für diese spezifisch für Kleinkinder entwickelten Therapieformen sind Psychotherapieplätze in Deutschland rar.^8,9

Lässt der Therapieplatz auf sich warten, können Eltern oder Jugendliche im Umfeld Hilfe suchen. Wichtig ist es die Sorgen der Kinder ernst zu nehmen. Trauen sich Kinder nicht über Ihre Probleme zu sprechen, können Anlaufstellen sein:⁶

• Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte,
• Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter,  
• Beratungsstellen des Roten Kreuzes, der Caritas oder Diakonie
• Kinder- und Jugendtelefon (Nummer 116 111), Jugendnotmail und u25-Deutschland.
• Info-Telefon Depression (0800 / 33 44 533)

Die Stiftung Deutsche Depression bietet zudem unterstützendes Material auf deren Website an:¹⁰

• E-Learning für Jugendliche: „Alles gut bei dir?!“
• Videoreihe für Jugendliche: „Alles Gut?! Mehr als nur eine Frage."

Altersgerechten Content stellt auch die LMU Klinik München über das Infoportal zur Depression und psychischen Gesundheit bei Kindern und
Jugendlichen zur Verfügung:11

• https://www.ich-bin-alles.de/