Schlaf und Bewusstsein: Was unser Gehirn nachts so treibt
Man muss es sich wieder und wieder bewusst machen: Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir im Schlaf, ohne Bewusstsein. Während des Schlafs haben wir keine Kontrolle über die Geschehnisse um uns herum, weder räumliche noch zeitliche Orientierung. Jeden Morgen nach dem Aufwachen setzt sich das Bewusstsein neu zusammen, quasi von jetzt auf gleich. Aber ist es in der Nacht wirklich ganz und gar ausgeschaltet?
Bewusstsein und Gehirn: Ein komplexes Konstrukt:
Eine große Frage, zumal bis heute niemand sagen kann, was das genau ist: Bewusstsein. Kein Mensch hat es je gesehen. „Es gibt keinen speziellen und einzelnen Ort im Gehirn, an dem unser Bewusstsein steckt”, sagt Philipp Sämann, Oberarzt am Münchener Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Bewusstsein ist ein Konstrukt. Das Gehirn hingegen lässt sich ganz genau beobachten und untersuchen. Daher weiß man zum Beispiel, dass mit zunehmender Schlaftiefe der Frontallappen abgehängt wird, wo unter anderem Zukunft geplant und Bewegung kontrolliert wird. Die Entkoppelung ist nicht radikal, zum Glück, denn sonst könnten wir vom Schrillen des Weckers nicht wach werden.
Schlaf: Ein wichtiger Lernprozess
Während des Schlafs ist zwar das Bewusstsein wie ausgeknipst, aber nicht das Gehirn. Das Gehirn schläft nicht. Unbewusst macht es eine Menge Sachen, und zwar ganz andere als am Tag. Es sortiert Gedächtnisinhalte, repariert Synapsen und sorgt dafür, dass Erlebtes gefestigt und verarbeitet wird. Wer dabei ist, etwas zu lernen, begibt sich am besten gleich danach in die Horizontale. Hunde lernen am besten, wenn sie vorher gespielt haben. Menschen lernen am besten, wenn sie danach ein Nickerchen machen.
Die Relevanz der verschiedenen Schlafphasen
Dass es sogar möglich ist, während des Schlafs neue Vokabeln zu lernen, zeigte ein Forscherteam von der Universität Bern. Es beschallte 41 schlafende Frauen und Männer mit Phantasiewörtern und ordnete den Wörtern verschiedene Bedeutungen zu, etwa „Guga – Vogel” und „Guga – Elefant”. Hatten die Probanden das zweite Wort in der sogenannten up-state-Schlafphase gehört – der Phase, in der die Gehirnzellen gemeinsam aktiv sind –, konnte die Mehrheit von ihnen nach dem Aufwachen die Frage, ob Guga sehr groß ist oder in einen Schuhkarton passt, korrekt beantworten. In der passiven Phase – down-state – ist das Gehirn ohne Aktivität. Die beiden Phasen wechseln sich ab und dauern jeweils eine halbe Sekunde. In welcher das Gehirn gerade steckt, lässt sich mit Hilfe eines EEG-Geräts ermitteln, das die Hirnaktivität misst. „Wir wollten zeigen, dass man auch in unbewusstem Zustand lernen kann”, sagt Marc Alain Züst, der an der Studie mitarbeitete. Dass sich die Redensart „da muss ich erstmal drüber schlafen” gebildet hat, kommt nicht von ungefähr. Abends geht man mit einem ungelösten Problem zu Bett, morgens ist es wie durch Zauberhand gelöst. Schon verrückt, was das Gehirn, ohne dass wir es merken, leistet. Und ein weiteres Argument dafür, an der Qualität der eigenen Nachtruhe zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass sie so gut wie möglich ist – damit das Gehirn in Ruhe machen kann, was ein Gehirn machen muss.
Quellen:
- Implicit Vocabulary Learning during Sleep Is Bound to Slow-Wave Peaks https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(18)31672-5?_returnURL=https%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier.com%2Fretrieve%2Fpii%2FS0960982218316725%3Fshowall%3Dtrue (zuletzt abgerufen am 20. Juni 2025)